Sie können dieses Buch über den Wolfgang
Einsiedel Verlag, Lindenseestraße 10, Königstädten, Tel.
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168 Seiten - ISBN 3-929722-03-8 - Preis 17,84 EUR |
LESEPROBEN
1. Einleitung
- 2. 50 Jahre danach - 3. Augenzeugenbericht |
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Es war im August 1944 ...
Felix Weilbächer
Im sechsten Kriegsjahr lief die Rüstungproduktion in Deutschland
auf vollen Touren. Niemals in der Geschichte wurden bis dahin in
einem Jahr so viele Flugzeuge, Maschinengewehre, Kanonen und Panzer
hergestellt. Auch bei OPEL in Rüsselsheim liefen die Bänder nicht
mehr für die Personenwagenproduktion, sondern es wurden Teile für
die Flugzeugwerke JUNKERS und andere kriegswichtige Güter
hergestellt. Aber mehr noch als durch die Produktion von Waffen
erlangte OPEL, seit 1931 zu 100% in amerikanischem Besitz, durch
sein Wissen um rationelle, hochmoderne und effektive
Fertigungsmethoden, wie sie in Amerika entwickelt worden waren,
entscheidende Bedeutung für die deutsche Rüstung.
Für den Sommer 1944 hatten sich die Alliierten auf strategische
Bombardements der deutschen Industrie verständigt. Das
Rüsselsheimer OPEL-Werk stand auf der Liste der kriegswichtigen
Fabriken sehr weit oben. Für den 19. Juli war der erste Luftangriff
auf das Werksgelände geplant, der, wegen schlechten Wetters um
einen Tag verschoben, schließlich am 20. 7. um die Mittagszeit
über Rüsselsheim hereinbrach. Er kostete etwa hundert Personen das
Leben, darunter auch die beiden Königstädter Otto Kühne und
Johannes Pinkel.
Der zweite auf das Werk OPEL vorgesehene Angriff wurde für die
Königstädter Bevölkerung zur Katastrophe. In wenigen Minuten
wurde der Kern des uralten Dorfes Königstädten ausradiert.
Wie wir heute wissen, wurden Menschen und Häuser ein Opfer des
unpräzise ausgeführten nächtlichen Angriffes der Bomber der Royal
Air Force auf das OPEL-Werk. Die Zielmarkierungen, so berichten nach
dem Angriff die Bomberbesatzungen in ihren Auswertungen, waren
"scattered", zerstreut.
Nachdem einige Scheunen in Königstädten früh in Brand geraten
waren, richteten sich vermutlich die desorientierten
Bomberbesatzungen nach den am Boden brennenden Zielen und luden ihre
restliche Bombenlast über dem unglücklichen Dorf ab. Der fast ganz
geschlossene Straßenring des alten Hufeisendorfes zwischen
Obergasse und Froschgasse wurde zur flammenden Falle.
Die ehemals geheimen Dokumente der Royal Air Force, die uns heute
zugänglich sind, liefern ein Bild, wie die andere Seite diesen
Angriff vorbereitete, durchführte und schließlich
auswertete.
Dieses Buch vermittelt denen, die diese Zeit nicht miterleben
mußten, eine Vorstellung, was Krieg wirklich ist, und es hilft
denen, die ihn miterleben mußten, hoffentlich dabei, sich noch
einmal mit ganzer Kraft aus ihrem Erleben heraus dafür einzusetzen,
daß der Krieg uns nicht wieder erreicht, denn er ist uns wieder
nahe gekommen.Grund genug, die Stimme zu erheben und den Krieg so
darzustellen wie er ist: Schrecklich, wahllos, elend, ...
sinnlos. |
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50 Jahre danach Gabi
Melles und Wolfgang Einsiedel
Die Schreckensnacht vom 12. auf den 13. August 1944 ist das
tragischste Ereignis in unserer Dorfgeschichte. Das Leid, das in
dieser knappen halben Stunde den Familien zugefügt wurde, lä×t
sich kaum in Worte fassen. Zwanzig Menschen starben in den Flammen
des in Trümmer gegangenen alten Ortskernes oder an den Folgen des
Angriffes. Drei Dorfbewohner wurden mit den erlittenen Verlusten und
dem Erlebten nicht fertig und nahmen sich das Leben.
Was für unser Dorf fast den Untergang bedeutete, liest sich in den
'Geheimen Tagesberichten der deutschen Wehrmachtsführung' (1) so:
"2oo Feindflugzeuge über Trier in den Raum Frankfurt a.M.,
davon 20-30 Feindflugzeuge in den Raum Karlsruhe mit Angriff auf
Rüsselsheim. Rüsselsheim 00.00-00.28 Uhr. Mehrere Bombenteppiche
auf Opelwerke. Geringe Schäden. Masse der Bomben ins freie Feld und
Waldgelände. In einigen Orten der Umgebung Brände."
Im 'Kriegstagebuch des Rüstungskommandos Wiesbaden des
Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion' (2) ist
unter dem Datum 12./13. August 1944 kein Fliegerangriff verzeichnet.
Auch in den Auswertungen der Alliierten heißt es nur sinngemäß:
Ziel verfehlt.
Die Zerstörung Königstädtens durch diesen Großangriff, der
soviel Leid auslöste, registrieren die Militärs beider Seiten
einfach nur als unerheblich; oder sie nehmen das Geschehen erst gar
nicht zur Kenntnis. Es gehört eben zum Kriegsalltag. Für die
Alliierten ist es nur ein teurer Fehlschlag, und auf der deutschen
Seite herrscht Freude darüber, daß die Rüstungsproduktion
ungehindert weitergehen kann.
Was diese knappe halbe Stunde, die der Bombenangriff dauerte, für
die Bevölkerung unseres kleinen Ortes wirklich bedeutete, kommt in
den Augenzeugenberichten zum Ausdruck. Diese ganz persönlichen
Berichte zeigen, welches Leid die nüchtern und sachlich
aufgelistete Bombenladungen über die Menschen bringen, auf die
diese Bomben abgeworfen werden.
Noch heute, nach 50 Jahren, ist das Entsetzen bei den Betroffenen so
groß, daß einige nicht in der Lage sind, über die Nacht zu reden.
Andere konnten ihre Erlebnisse nur unter Tränen schildern. Bei
unseren Gesprächen mit den Betroffenen wurde uns deutlich, wie tief
sich die Schrecken dieser Nacht ins Bewußtsein eingegraben
haben.
Viele der Augenzeugen baten uns, ihre Erlebnisse nach ihren
Schilderungen aufzuschreiben. Daher haben wir die Gespräche zu
zweit durchgeführt und die Berichte auf Tonband mitgeschnitten.
Gleichzeitig haben wir uns wichtig erscheinende Aussagen notiert und
die Gefühlsregungen unserer Geprächspartner in die Notizen mit
einfließen lassen.
Aus diesen unabhängig voneinander entstandenen Gesprächsskizzen
und den Tonbandprotokollen sind die Augenzeugenberichte
zusammengefügt worden. Dabei haben wir großen Wert darauf gelegt,
die eigene Wortwahl der Leute wiederzugeben und möglichst ihre
Erzählform beizubehalten.
Abschließend wurden die Berichte den Augenzeugen noch einmal
vorgelegt, damit sie bestätigen konnten, daß wir die Ereignisse
richtig wiedergegeben haben und unsere Wortwahl ihren Erlebnissen
gerecht geworden ist.
Unser Konzept für dieses Buch sah vor, dem Bericht über den Ablauf
der Bombennacht, rekonstruiert aus den Unterlagen und Dokumenten der
Royal Air Force, einige Schilderungen von Königstädter Augenzeugen
gegenüberzustellen. Doch schon im September 1993, als die ersten
Berichte der Bombenopfer aufgeschrieben waren und wir immer mehr
Hinweise auf andere Zeitzeugen erhielten, war abzusehen, da× die
Augenzeugenberichte zum Hauptteil des Buches werden sollten.
Neben denen, die diese "Schreckensnacht"(3) in
Königstädter Kellern durchlebt hatten, fanden wir durch die
Hinweise unserer Geprächspartner Personen, die noch in der Nacht
oder in den Tagen danach in Königstädten Hilfe leisteten. Wir
stießen auf Einsatzbeschreibungen der Feuerwehren aus Mainz,
Groß-Gerau, Frankfurt und dem MAN-Werk in Gustavsburg. Dies sind
die einzigen Berichte, die uns im Original aus dieser Zeit vom
Angriff auf Königstädten überliefert sind.
Bei unseren Nachforschungen fanden wir auch heraus, daß Schüler
aus Wiesbaden 1944 als Flakhelfer am Müllböhl eingesetzt waren.
Sie konnten über den Fliegerangriff wieder aus einer anderen Sicht
erzählen. Nach mehreren Treffen mit ihnen hat Heinz Lademann,
Luftwaffenhelfer und 1944 für einige Zeit in Königstädten
stationiert, seine "Erinnerungen an die
Bombennacht"(4) für dieses Buch niedergeschrieben.
In den 8 Monaten von September 1993 bis Anfang Mai 1994 haben wir
versucht, so viele Augenzeugen wie möglich zu befragen, dabei auch
Personen, die heute nicht mehr in Königstädten wohnen. Dies war
eine zeitaufwendige Arbeit, da jeder Bericht, von der Erzählung
über die Niederschrift bis zum Besprechen mit den Augenzeugen und
der Korrektur, einen Zeitraum von 5-7 Stunden in Anspruch
nahm.
Die immer knapper werdende Zeit bis zum Redaktionsschluß setzte
unseren Befragungen notgedrungen ein Ende. Wir haben dies sehr
bedauert, denn es waren für uns aufschlußreiche Monate, mit tiefen
Einblicken in ein Geschehen, das für viele Menschen prägend war.
Die große Hilfsbereitschaft der Augenzeugen machte es uns möglich,
das schreckliche Geschehen in Königstädten in diesem Buch
umfassend und vielseitig zu dokumentieren. Dazu trugen auch die
vielen Bilder und Dokumente bei, die uns bei den Gesprächen
überlassen wurden. Darunter auch Aufnahmen, die am 13. August 1944
unter Lebensgefahr aufgenommen und bisher selbst im Archiv von Karl
Walther nicht vorhanden waren. Alle Augenzeugen haben es durch ihre
bereitwillige Mitarbeit möglich gemacht, daß dieser Teil des
Buches entstehen konnte. Dafür danken wir ihnen ganz
herzlich.
Jede einzelne dieser Geschichten hat unsere Gefühle tief
aufgewühlt. Wir haben die Geschehnisse intensiv nacherlebt. Die
Augenzeugenberichte wurden für lange Zeit zum Mittelpunkt unseres
Alltags. Immer wieder, selbst in Gesprächen mit Freunden und
Bekannten, lenkten wir unbewußt die Unterhaltung auf
"unsere" Erlebnisse mit der Bombennacht.
Die Nacht vom 12. auf den 13. August 1944 ist für uns aus ihrer
Anonymität herausgetreten. Jedes Haus, jedes Hoftor in
Alt-Königstädten ist von jetzt an für uns verbunden mit Menschen
und deren persönlichem Schicksal.
__________
- (1) Kurt Mener, Die geheimen Tagesberichte der deutschen
Wehrmachtsführung im Zweiten Weltkrieg 1939-1945, Band 10: 1.
März 1944 - 31. August 1944, Biblio Verlag Osnabrück
1985
- (2) Kriegstagebuch 8 Rüstungskommando Wiesbaden des
Reichsministers für Rüstung- und Kriegsproduktion, begonnen am
1. 7. 1944, beendet am 30. 9. 1944, Bundesarchiv/Militärarchiv
Freiburg
- (3) Friedrich Höngen: Geschichte der Gemeinde Königstädten,
a.a.O., Seite 123
- (4) Heinz Lademann, siehe Seite 138 in "Bombennacht"
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Beispiel eines
Augenzeugenberichtes:
Gisela Zwirner, geb.
Daum, *6.4.29
Rathausstraße 18
Am 12. August gegen Abend schmückten wir unsere Kirche für die
Gedächtnisfeier von meinem Onkel Ludwig Daum (der jüngste Bruder
meines Vaters, er blieb im Ru×landkrieg) und für Willi Kühne. Es
war ein friedlicher Abend, wir saßen mit der Schwester meines
Vaters, die wegen der Feier aus Oberhessen angereist war, und
betrachteten in meinem Album Fotos. Wir gingen anschließend
schlafen. Doch es dauerte nicht lange, und es gab Fliegeralarm. Das
hieß, schnell anziehen und die Tasche nehmen mit den wichtigsten
Unterlagen. Großvater Georg Schleidt hatte in dem Kellergewölbe
unter unserer Scheune einen Raum hergerichtet, den wir bei
Fliegeralarm aufsuchten. Mutter und Großeltern schimpften, daß ich
nicht gleich mit in den Keller kam. Ich stand noch eine Weile an
unserer Gartentür und sah zum Himmel hoch. Es war, wie so oft, ein
bedrohliches Brummen in der Luft.
Da waren dreimal Leuchtkugeln am Himmel. Die Reihenfolge der Farben
(weiß, grün, rot) kann ich nicht mehr sagen. Sie waren Richtung
Stoga zu sehen. Danach gings dann Schlag auf Schlag. Im Keller
kauerte jeder in seiner Ecke. Wir hatten schreckliche Angst, aber
von mir kann ich sagen, ans Sterben habe ich nicht gedacht. Einmal
war eine gewaltige Druckwelle. Es riß die Kellertüre aus dem
Riegel, und sie sprang auf (es soll eine Luftmine durch den Pfarrhof
gesaust sein). Man sah schon überall Feuer. Wir hatten im Keller
noch zwei Russenmädchen aufgenommen, sie waren damals in der
Käserei Einsiedel beschäftigt und hießen Maria und Solomia. Die
beiden kamen oft zu uns und haben mit uns zusammen Sackwolle(1)
gestrickt.
Unser ganzes Anwesen brannte. Da wir für unsere Ziegen Heu gelagert
hatten, wurde unsere Kellerdecke ganz schön heiß. Aus dem Haus
zerrten wir noch raus, was möglich war. Es gab nicht mehr viel zu
retten. Da der Strom ausfiel, war mit der Wasserleitung auch nichts
anzufangen. Die einzige Pumpe, die noch funktionierte, war bei
Christoph Schäfer in der Nachbarschaft. Doch bei solch einem Brand
war das Wasser zu wenig, was man heimholte. Hühner und Gänse
wurden in Säcke gesteckt, die Ziegen wurden bei mir an einen Sessel
gebunden. Mit den Tieren und unseren paar Habseligkeiten saßen wir
am Garten von Georg Mager. Das war ungefähr da, wo heute die Anlage
hinter der Kirchenmauer ist. Am schlimmsten war das Feuer in der
Hinter- und Obergasse. Es war ein unheimliches Rauschen und Brausen
in der Luft. Das Feuer ging waagrecht über das Dorf. Schlimm war es
für mich, als ich mit ansehen mußte, wie der Giebel unseres Hauses
einstürzte. Am Morgen war erst das ganze Elend so richtig zu sehen:
überall verendete Tiere. An der Kirche stand eine Kuh mit Splittern
in den Beinen, sie mußte getötet werden. Und dann noch diese
Hitze! Die toten Tiere lagen in den Straßen mit aufgequollenen
Bäuchen. In den folgenden Tagen wurden die Kadaver in die
Bombenlöcher geworfen.
Ständig fuhren Tankwagen mit Desinfektionsmitteln hinterher. Am
Morgen nach der Bombennacht kam mein Vater auf Urlaub. Er war zu
dieser Zeit im Stadtkrankenhaus in Darmstadt als Sanitäter tätig.
Er hatte in der Nacht den Feuerschein bis Darmstadt sehen können,
aber nicht gedacht, daß es Königstädten getroffen hatte. Er war
froh, als er uns lebend sah. Wir gingen mit unseren paar
Habseligkeiten nach Nauheim zu einer Familie Arnold, bis unsere
Notunterkunft hergerichtet war. Helfer waren schnell da. Aber es
gibt solche und solche. Einer von ihnen nahm sogar unsere
Lebensmittelmarken mit, und wir mußten sehen, wie wir den Monat
herumbrachten. In unserer Ruine richtete sich nachher die SS ein.
Sie half im Ort bei den Aufräumungsarbeiten. Diese Leute gaben uns
auch von ihrem Proviant ab, darüber waren wir froh. Außerdem
bekamen wir Berechtigungsmarken und konnten uns bei der Metzgerei
Stoffel im Hof Suppe und belegte Brote holen.
Als wir Gelegenheit hatten, vor den Ort zu gehen, waren wir
sprachlos. Die Felder steckten voll mit Bomben. Es sah aus, als
hätte vorher ein Wald gestanden und wäre abgesägt worden. Es war
eine grausige Nacht, und die folgende Zeit war sehr hart. Ich
wünsche uns allen und unseren Nachkommen, daß sich so etwas nicht
noch einmal wiederholt.
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- (1) Sackwolle bestand aus Gewebefäden, die zur Verstärkung
in Zuckersäcke eingeklebt waren. Daraus wurden recht kratzige
Strümpfe und Pullover gestrickt.
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