Ernst Erich Metzner
Warum Frankfurter zum Gericht bei Rüsselsheim mussten 

(überarbeitet aus E. E. Metzner, Vergangenheit am Untermain – gegenwärtig, hrsg. v. A. Helm, Rüsselsheim 1982, Nr. III, S. 34-36 u. S. 74)
 
Kirchenrest Kloster Lorsch
Im Lorscher Reichsurbar findet sich die Erstnennung Stetin/Königstädtens

Zu Art und Umfang des "Gerichtsbezirks" um den "Haselberg" - Fehleinschätzungen in seitheriger Deutung

Mit Hilfe der Verweisnummern im Text [1] können die Anmerkungen am Textende direkt angesprungen werden.

Über den "Haselberg" als den alten Mittelpunkt der im Jahre 1211 zuerst begegnenden „Provinz" oder "Grafschaft" am Untermain, die „Haselbergen" genannt wurde, ist in vorausgegangenen Beiträgen ausführlicher gesprochen worden; die langhin unbekannte und falsch lokalisierte Stelle des wahrscheinlich bis ins 4. Jh. n. Chr. zurückreichenden Gerichtsplatzes "Haselberg" wurde dabei mit der "gemeinsamen Mitte" zwischen den Gemarkungen von Seilfurt-Rüsselsheim, Königstädten, Hof Schönau, Bauschheim und Bischofsheim am "Schönauer Kirchweg" identifiziert.

Die NAHAUFNAHME zeigt die “Gemeinsame Mitte” der 5 (6) angrenzenden Gemarkungen zwischen Rüsselsheim und Hof Schönau, die erschließbare Stelle des mittelalterlichen “Allgemeinen Gerichts” auf dem “Haselberg”.

Es bleibt noch, einiges zur Art des Gerichts, zum Umfang des Gerichtsbezirks um die Gerichtsstätte und zu seinem "Hauptort" in der Zeit um 1200 zu sagen, als noch auf dem "Haselberg" Gericht gehalten wurde. In der bereits erwähnten Urkunde von 1211 sind - in interessanter Reihung - folgende Gemeinden aus dem Umland des "Haselbergs" bzw. des vor Zeugen veräußerten „Mönchbruchs“ erwähnt, und zwar als Herkunftsorte von Zeugen: Frankfurt (5 Zeugen), Rüsselsheim (2), Seilfurt (2), Bischofsheim (2), Trebur (3), Nauheim (2), Königstädten (1), Mörfelden (1) und Raunheim (1).

Durch Wildbann bezeugt 

Von einem "Hauptort" ist nicht ausdrücklich die Rede, auch nicht davon, dass alle zum Gericht gehörigen Gemeinden Zeugen stellten. Immerhin: Man wird sich den Gerichtsbezirk mit der Forschung kaum viel umfänglicher vorstellen dürfen und im Norden den Untermain (und eventuell noch die untere Nidda), im Westen den Rhein als Grenzen annehmen - Grenzen, die auch als die des Wildbanns Dreieich spätestens im 14. Jh. bezeugt sind: Der hochmittelalterliche Bezirk des Gerichts auf dem Haselberg" dürfte den ganzen Nordwesten des Wildbanngebiets ausgefüllt haben.

Und weiter: Auch wenn Frankfurt unter den genannten Herkunftsorten vor Mörfelden am weitesten vom "Haselberg" abgelegen war, man müsste wegen der hervorgehobenen Erstnennung, der besonders großen Zahl von Zeugen aus Frankfurt und der damals sicher bereits gegebenen größten Wichtigkeit der städtischen Siedlung eben diesem Frankfurt im Gerichtsbezirk von 1211 eine besondere Rolle, die des "Hauptorts" eben, zuschreiben; man hätte dann jedoch die Zugehörigkeit des seltsam an den Rand des Bezirks gerückt erscheinenden Frankfurt zum "Haselberg" eigens zu erklären, was denn auch im Folgenden geschehen soll.

Bisher hat man allerdings Frankfurts Teilnahme im Jahre 1211 anscheinend immer für mehr oder weniger zufällig gehalten (vgl. etwa M. Schalles-Fischer, Pfalz und Fiskus Frankfurt, 1969, 356 f.), vor allem, weil man aufgrund der sich andeutenden Grenzen des Gerichtsbezirks zu wissen glaubte, um was für eine Art Gericht es sich bei dem „generale placitum", dem „Allgemeinen Gericht", auf dem Haselberg bei Rüsselsheim gehandelt hat: Um das dem Königsgutbezirk "Trebur", dem sog. „Fiskus Trebur", zugeordnete Gericht nämlich; ihm hätte einmal, meinte man, ein entsprechendes Gericht für den unmittelbar benachbarten Königsgutbezirk "Frankfurt" mit Sitz in Frankfurt oder - eher - nahe Frankfurt im Freien auf dem "Bornheimer Berg" entsprochen (s. Schalles-Fischer a. a. 0. S. 355). Bei einer solchen Annahme ist es natürlich schlecht vorstellbar, dass der "Hauptort" des einen "Königsgutbezirks", Frankfurt, zum Gericht' eines anderen benachbarten "Königsgutbezirks", Trebur, gehört haben könnte. Was aber nun, wenn es sich bei dem "generale placitum" gar nicht um ein Gericht bloß für einen Königsgutbezirk, gar nicht um ein Gericht nur für Königsleute, gehandelt hätte?

Misstrauen ist angebracht 

Man muss in der Tat gegenüber der bisherigen Annahme sehr misstrauisch sein: Denn einmal wird Frankfurt 1211 doch wie selbstverständlich mit Trebur zusammen und sogar vor Trebur genannt, und zum andern umfasste der angeblich aus dem Königsgutbezirk Frankfurt erwachsene Bezirk des Gerichts auf dem "Bornheimer Berg" bei Frankfurt-Bornheim, als er in den Quellen begegnet, auffälligerweise keineswegs das mittelalterliche Frankfurt selbst und wohlgemerkt gerade auch nicht diejenigen Dörfer und Siedlungen, die zwischen Frankfurt und dem "Haselberg" südlich des Mains gelegen waren, also  n i c h t  Sachsenhausen, Niederrad, Schwanheim, Kelsterbach usw.; die abgelegeneren süd-mainischen Orte Oberrad und Offenbach dagegen gehörten zum Bornheimer Berg". Man muss also doch an einen Gerichtsbezirk um den "Haselberg" denken, in den auch das älteste Frankfurt samt Sachsenhausen, Niederrad, Schwanheim usw. eingeschlossen gewesen sind und der dem Frankfurt gewissermaßen von drei Seiten umklammernde Gerichtsbezirk „Bornheimer Berg" unmittelbar benachbart, ja bemerkenswert eng verbunden war.

Misstrauisch gegenüber der bisherigen Auffassung macht auch die Bezeichnung "generale placitum", „Allgemeines Gericht", für das Grafschaftsgericht auf dem „Haselberg". - Sie führt, wie der Vergleich mit dem etwa gleichbedeutenden isländischen „Althing", den ich vorgenommen habe, eher auf die Annahme, dass  a l l e  Gemeinden eines geschlossenen Bezirks dort vertreten waren oder sein sollten, nicht nur die Orte in oder mit Königsbesitz, die 1211 zum Mittelpunkt der Königsgutverwaltung Trebur gehörten. Der Vermutung entspricht voll und ganz, dass der Gerichtsbezirk, die "Königsgrafschaft zum Bornheimer Berg" (des "kuneges grashaft zuo Burneheimer berge"), so 1303 zuerst genannt, tatsächlich ein geschlossenes "Land"-Gebiet westlich, nördlich, östlich und südöstlich Frankfurt umfasste, bestehend aus den zu einem "Land" zusammengeschlossenen Dörfern Bergen, Berkersheim, Bischofsheim, Bockenheim, Bornheim, Eckenheim, Enkheim, Eschersheim, Fechenheim, Ginnheim, Griesheim, Gronau, Hausen, Massenheim, Nied, Oberrad, Offenbach, Preungesheim, Seckbach und Vilbel [1]. Wenn der "Haselberg"-Bezirk, die "Grafschaft" um den "Haselberg" tatsächlich, wie es scheint, ein prinzipiell vergleichbares Gebilde darstellte und sich als "Land" begriff, wäre eine ähnliche Geschlossenheit zu vermuten, eine, die unabhängig von eventuell verschiedenartigem Grundbesitz war. 

Das Lorscher Reichsurbar 

Und es entspricht der neuen Annahme, dass 1211 mit den Zeugen aus Bischofsheim, Seilfurt und Raunheim auf dem Haselberg" auch Vertreter aus Orten erscheinen, die nach allem, was wir jetzt wissen, auch 1211 noch nicht mit Sicherheit oder 1211 längst nicht mehr in Königsbesitz waren. Im sog. "Lorscher Reichsurbar", das eine nach dem Kloster Lorsch gelangte Liste des Königsguts in unserem Raum aus der Zeit, wie ich meine, der Jahre 764/5 darstellt und die Erstnennung Rüsselsheims, Königstädtens und Bauschheims enthält, sind jedenfalls Bischofsheim, Seilfurt und Raunheim  n i c h t  als Orte in oder mit Königsbesitz bezeugt, und entsprechend deutet schon der "-heim"-Name “Bischofsheim” auf einen anderen Besitzer als den König spätestens im 8. Jh., und ebenso wahrscheinlich der zunächst schwer verstehbare "-heim"-Name “Raunheim”, der,  wie ich gezeigt habe [2], wohl auf eine bald wieder eingegangene klösterliche Niederlassung schon des 8. Jhs. verweist, die in Zusammenhang mit dem Mönchskloster Hornbach in der Pfalz gesehen werden muss; dieses erscheint denn auch noch im 13, Jh. als der eigentliche Besitzer von Raunheim und des benachbarten, eben nach den Mönchen von Hornbach benannten Mönchhofs, dessen Name allerdings erst viel später erscheint. Die voreilige Vermutung, dass das "generale placitum" auf dem "Haselberg" nur für den Königsgutbezirk Trebur des Hochmittelalters und für die damaligen Königsleute zuständig gewesen sei und das erst im Spätmittelalter aufscheinende Gericht auf dem "Bornheimer Berg" einst für den ganzen Fiskus Frankfurt, beruft sich nun allerdings auf das eben genannte Lorscher Reichsurbar der, wie ich meine, frühen Karolingerzeit: Dort entspricht der vor der Forschung so genannte Abschnitt "Westliche Dreieich", der durch Trebur, den vermutlichen Fiskusvorort, eingeleitet wird, aber u. a. auch die Orte Kelsterbach, Griesheim, Frankfurt und Vilbel benennt, in der Tat auffällig dem sich andeutenden Umfang des "Haselberg"-Bezirks des 13. Jhs., wenn man den etwas später bezeugten Raum der "Grafschaft" um den „Bornheimer Berg" hinzunimmt - ein Blick auf die Karte lässt die Übereinstimmung erkennen.

AUS DEM VERGLEICH früh-, hoch- und spätmittelalterlicher Quellen lässt sich eine langgestreckte, frühmittelalterliche fränkische "Königsgrafschaft" zwischen Rhein und Wetterau mit dem Zentrum des „Haselbergs" südlich von Rüsselsheim erschließen, in der der König der weitaus bedeutendste Grundbesitzer war; wohl unter Karl dem Großen, unter dem Frankfurt 794 ....?...vorort und Pfalzort geworden war, ist sie durch Abspaltung der "Grafschaft Bornheimer Berg" geteilt worden.
Für den größeren, südwestlichen Teil blieb der "Haselberg" die zentrale Versammlungsstätte bis weit ins Spätmittelalter hinein.

Man könnte so zunächst beispielsweise sehr wohl zu der Folgerung gelangen, dass beide späteren Gerichtsbezirke mit dem Namen "Grafschaft" letztlich durch Teilung eines ursprünglich größeren einzigen Königsgutbezirks entstanden sind, und man dürfte sich damit beruhigen, wenn eben deutlich wäre, dass der Begriff "Grafschaft" nur ein anderes Wort für den Begriff "Fiskus" im Sinne von „Königsgutbezirk" oder "Königsgutbezirksgericht" war und die hoch- und spätmittelalterlichen "Grafschaften" um "Haselberg" und "Bornheimer Berg" mit den Königsgutbezirken "Trebur" und Frankfurt identisch und die Gerichte (also) nur für Königsleute zuständig gewesen wären.

Dem ist nun allerdings keineswegs so, wie ich gezeigt habe, und deshalb hat man zu vermuten, dass die auffällig übereinstimmenden Grenzen von Grafschaften und Fiskalbezirken auf andere einfache Art zu erklären sind: Man hat anzunehmen, dass ursprünglich, etwa zur Zeit des Lorscher Reichsurbars, Grafschaftsgrenzen und Fiskusgrenzen übereingestimmt haben in dem Sinne, dass innerhalb einer "Grafschaft" jeweils nur eine Königsgutverwaltung, ein Königsgutbezirk, sich befunden hätte.

Übereinstimmung der Grenzen deutet jedenfalls nicht notwendig auf Identität der innerhalb dieser Grenzen tätigen Organe, der Fiskalverwaltung also z.B. und des Gerichts.

Trostpreis für "Haselberg"

Die hochmittelalterliche Situation lässt mich allerdings auf eine vom Königtum ausgehende Veränderung der er­schlossenen einfacheren früheren Verhältnisse wohl unter Karl dem Großen (768-814) schließen, unter dem oder noch unter dessen Vater Pippin es m. E. zur Errichtung eines eigenen Fiskalbezirks Frankfurt kam: Im Lorscher Reichsurbar von 764/5 (s. o.) hat dieser gesonderte Bezirk anscheinend noch nicht bestanden, der für die Zeit Karls mit Sicherheit bezeugt wird. Nahe liegend wäre es nun gewesen, wenn der vom Königtum vorgenommenen Teilung der Königsgutverwaltung in einen verkleinerten Bezirk „Trebur'' und einen neuen Bezirk "Frankfurt" eine entsprechende Teilung der ursprünglichen "Grafschaft" um den "Haselberg" gefolgt wäre, aber offenbar hat es starke, vom Königtum nicht ganz auszuräumende Widerstände gegen eine solche Verkleinerung auch der ursprünglichen „Grafschaft“ gegeben, so dass schließlich die Grafschaft "Haselberg" bzw. deren einflussreiche Inhaberfamilie als eine Art Trost­preis die einträgliche Jurisdiktion auch noch über den neuen, aufblühenden Fiskusmittelpunkt Frankfurt und über die königlichen Güter zwischen der Gerichtsstätte "Haselberg" und diesem Frankfurt behielt; diese wurden nun aber größtenteils von Frankfurt aus verwaltet. 

Nur die vom "Haselberg" noch weiter abgelegenen Gemeinden des alten Gerichtsbezirks, die vorher unter der verhältnismäßig weiten Entfernung zum Gerichtsort "Haselberg" am meisten gelitten hatten, bekamen ein näheres „generale placitum" in ihrer Mitte auf dem "Bornheimer Berg“ und wurden zu einer besonderen "Grafschaft" - zu einer, in der (wie in Frankfurt, das ja eigentlich dazugehörte) der fränkisch-deutsche König und Kaiser seine von Anfang an durch die Besitzverhältnisse gegebene dominierende Stellung allerdings länger zu halten bestrebt und in der Lage war als im engeren Raum um den Haselberg. Irren wir nicht, so ist in der behandelten auffälligen Grenz­ziehung etwas vom geschichtlichen Widerstreit zwischen erstarkendem karolingischen Königtum (und dem "Volk") auf der einen Seite, dem sich herausbildenden "Adel" auf  an deren Seite zu erkennen. 

Anmerkungen

[1] vgl. F. Schwinn, die ‘Crafschaft’ Bornheimer Berg und die Königsleute der ...?... Frankfurt, in: Hess. Jb. zur Landesgeschichte, 14, 1964, S. 1 ff. [zurück zum Kontext]
[2] In Vorträgen in Raunheim und Rüsselsheim, deren Ergebnisse zum Teil schon veröffentlicht sind, habe, aus gehend von der alten Zugehörigkeit Raunheims und des Mönchhofs zum Mönchskloster Hornbach in der Pfalz, den ziem1ich rätselhaften Namen „Raunheim“, alt: „Rûwenheim“, als der Zusammensetzung mit der alten Dialektform „rûwe“ (= dt. „Reue“) aufgefasst und auf klösterliche Namen wie „Reuental“ oder „Rauental“ verwiesen. Sowohl der Ortsplan wie ein Straßenname deuten zusätzlich auf die ehemalige Existenz eines kleinen Hornbacher Tochterklosters nahe Raunheim schon im 8. Jahrhundert, wie noch näher auszuführen wäre. Das Klösterchen ist auf der Gemarkung eines alten Dorfes, dessen Name wohl ‘Rechenheim’ war, gegründet worden und der neue Name hat den alten verdrängt. [zurück zum Kontext]

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